Großstadt pflanzen
Schon lange lebe ich als Großstadtpflanze und schätze die vielfältigen Menschen und Möglichkeiten der Stadt. Hier ist Raum für Biotope und Szenen, Nischen und Wildwuchs, Diversität und Gemeinschaft. Als ich vor 20 Jahren nach Berlin zog, gab es noch viel ungenutzten Platz. Freiräume, die sich die Städter*innen aneigneten und von der Natur besiedelt wurden. Auf Stadtbrachen gedieh biologische Vielfalt, boten wilde Brombeersträucher und verwaiste Apfelbäume freie Ernte, nutzten und gestalteten Bewohner*innen den öffentlichen Raum.
Mittlerweile wurden viele selbstorganisierte Projekte und Natur von privaten Verwertungsinteressen verdrängt. Trotzdem gibt es sie: grüne Nischen und Gemeinschaften, die sie pflegen und nutzen.
Gemeinsam gärtnern in der Stadt
Als Anfang der 2000er Jahre die Idee von urbanen Gemeinschaftsgärten in Berlin ankam, war ich gleich fasziniert. In New York werden schon seit den 1970ern Brachen von Nachbar*innen zu grünen Erholungs- und Begegnungsorten umgewandelt. Auch die neuen Berliner Stadtgärtner*innen setzen auf Gemeinschaft, Selbstorganisation, Offenheit für unterschiedliche Menschen, Interkulturalität und Nachhaltigkeit.
2007 schloss ich mich dem Bürgergarten Laskerwiese an, der gerade mit dem Bezirksamt eine Nutzungsvereinbarung über eine Brachfläche in Friedrichshain geschlossen hatte. Dort entstanden ein öffentlicher Park und Beete zum Selbergärtnern.
Seitdem säen, pflanzen und ernten wir, pflegen die Grünfläche, beschneiden Obstgehölze, haben einen Teich angelegt und eine Wildobsthecke gepflanzt. Laub wird geharkt, Müll gesammelt, Feste gefeiert, Lagerfeuer gemacht, Beeren geerntet und zu Marmelade verkocht. Wir haben Ideen entwickelt und ausprobiert, uns mit der Nachbarschaft vernetzt und manchmal herumgestritten – der Garten ist ein lebendiges Bio- uns Soziotop inmitten der Stadt.
Aus dem, was dabei gelernt wurde, ist 2014 gemeinsam mit anderen Berliner Garten-Projekten ein Buch entstanden, das zum Nachmachen inspirieren soll.
Solidarisch wirtschaften auf dem Land
Die Ernte und die Kosten teilen ist das Prinzip der Solidarischen Landwirtschaft – auch CSA, Community Sustained Agriculture, genannt. Einer der Pioniere mit dieser Wirtschaftsform ist der Buschberghof den ich in den 1990ern durch eine Freundin kennenlernte. Er wird seit jetzt 30 Jahren von einer solidarischen Gemeinschaft aus Stadt und Land getragen und hat 2009 dafür den Förderpreis Ökologische Landwirtschaft des Bundeslandwirtschaftsministeriums bekommen.
Mittlerweile gibt es viele Betriebe und Gruppen, die es ihm nachmachen.
SoLaWi Waldgarten
Heute kommt das Gemüse, das meine Familie isst, wieder von einem SoLaWi-Hof, dem Ökohof Waldgarten in der Prignitz. Die Idee „Waldgarten“ kommt aus der Permakultur: ein Ökosystem aus Bäumen, Sträuchern und Gemüsepflanzen produziert Früchte und Gemüse.
Einmal wöchentlich beliefert der Hof selbstorganisierte Abholstellen, wo die Mitglieder der SoLaWi ihren Anteil abholen. Der Beitrag, den alle verpflichtend für ein Jahr überweisen, ist keine Bezahlung für das Gemüse; er soll die Kosten des Betriebs decken. Wie viel das für jeden Ernteanteil ist, bestimmt eine „Hutrunde“ auf der Vollversammlung: Alle bieten, was sie sich leisten können, und die Gruppe bringt das Gesamtbudget zusammen.
Das hat Vorteile für alle Seiten. Der bäuerliche Betrieb trägt nicht mehr allein das wirtschaftliche Risiko, die ganze Ernte wird genutzt, nichts weggeworfen, weil es nicht den Handelsnormen entspricht. Wenn es mehr gibt, als man essen kann, kocht man ein oder verschenkt, ist es weniger, kann man auf die Vorräte zurückgreifen.
Außerdem helfen alle ein paar Mal im Jahr auf dem Hof mit und sehen, wie die Nahrungsmittel wachsen, gepflegt und geerntet werden. Man bekommt mit, wann die ersten zarten Salate Saison haben, dass im Sommer in Brandenburg köstliche Tomaten reif sind und man im Winter mit Pastinaken und roter Beete satt und glücklich werden kann. Auch die Widrigkeiten der Landwirtschaft lernt man kennen – wenn das Wetter nicht mitspielt, Tiere oder Krankheiten Anpflanzungen zunichte machen.
So lernt man auch, die landwirtschaftliche Arbeit, die uns ernährt, neu zu schätzen. Und isst köstliches Gemüse, das rundum gut produziert wurde.